whiteshark: Glücklich sind die Amateure
Der Amateur hat dem Profi etwas voraus:
Er kann sich aussuchen, was er tut. <Sein einziges Kriterium ist die Leidenschaft.> Und die kann ihn weit bringen.
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Für Markus Stangl war seine Leidenschaft für Schach wichtiger als das Studium. Stangl ist Jurist, 38 Jahre alt und bei dem Münchener Telekommunikations-Dienstleister Telegate für Recht und Personal verantwortlich. Er ist der Personalchef von 3500 Mitarbeitern - und Schachgroßmeister. Stangl war deutscher Blitzschach-Meister, zehnmal deutscher Mannschaftsmeister, er gewann einen Europacup und stand in seiner besten Zeit auf Platz fünf der deutschen Rangliste. Heute liegt er "so um den 70. Platz". Es ist im Schach wie überall im Leben: Fähigkeiten, die man nicht trainiert, schwinden.
Früher hat Stangl acht Stunden und mehr am Tag gespielt, heute ist er nur noch sporadisch in der österreichischen Bundesliga aktiv. Während seines Studiums waren "etwa 70, 80 Prozent meiner Zeit und Energie für Schach reserviert". Er hatte seinen Abschluss trotzdem nach acht Semestern. "Es gibt fast nichts Schöneres, als eine Schachpartie zu gewinnen", sagt Stangl. Aber auch für den Schachspieler hat Leidenschaft mit Leiden zu tun: "Umgekehrt gibt es fast nichts Quälenderes als eine verlorene Partie."
Wenn Markus Stangl, ein nüchterner, freundlicher Mann, über seine Schach-Biografie spricht, klingt es, als sei Schach kein Brettspiel, sondern eher eine Schule des Lebens. Oder ein großes philosophisches Rätsel, das Demut lehrt. "Man trainiert analytisches Denken und lernt mit Niederlagen umzugehen, mit denen man ständig konfrontiert ist", sagt Stangl. "Man lernt, Chancen zu sehen, durchzuhalten und nicht schlappzumachen. Und man entwickelt die Fähigkeit zu kämpfen." Für die Faszination von Schach hat Stangl ein prägnantes Bild: "Zwei Gehirne, die sich gegenübersitzen und ihre geistigen Fähigkeiten messen. Das ist nirgends so extrem wie im Schach."
Wer Schach spielt, lernt in Alternativen zu denken und Entscheidungen zu treffen. Beides sind klassische Fähigkeiten des Managers. "Andere lernen in Seminaren, die Optionen des Gegners ins eigene Kalkül einzubeziehen. Für Schachspieler ist das selbstverständlich", sagt Stangl. "Man denkt im Schach prophylaktisch: Was wäre wenn? Man geht unterschiedliche Handlungsoptionen durch und entscheidet sich dann für einen Zug. Viele Manager kranken daran, dass sie endlos analysieren, Berater hinzuziehen und möglichst gar nicht oder sehr spät Entscheidungen treffen. Im Schach muss man permanent unter Zeitdruck entscheiden. Ich habe dabei gelernt, kalkulierte Risiken einzugehen: Irgendwann muss man ziehen, auch wenn der Zug unter Umständen nicht hundertprozentig der beste und gegen alle Risiken abgesichert ist."
Wer spielt, lernt: kalkulieren, entscheiden - und mal verlieren
Wer Risiken und Komplexität nicht aushält, sucht Hilfe bei einfachen Formeln. Das hält Schachspieler Markus Stangl für falsch, im Leben wie im Management: "Zahlen bilden nicht Risiken und Chancen ab." Es gibt nur Varianten, nicht eine richtige Lösung.
Schachspieler sind stetig lernende Systeme. In jeder Partie wird nicht nur vorhandenes Wissen angewendet - jede Partie produziert auch neues Wissen. "Wenn eine Entscheidung falsch war, wiederhole sie nicht in der nächsten Partie. Doch genau dieses Lernen aus eigenen Fehlern fällt Managern nicht immer leicht", meint Stangl. "Sie werden in Deutschland kaum einen Top-Manager finden, der offen die Liste seiner falschen Entscheidungen benennt. Aber Schachspieler können das. Man lernt aus Niederlagen viel mehr als aus gewonnenen Partien."
Man muss Stangl nach den Lerneffekten beim Schach fragen. Von sich aus würde er über seine Leidenschaft wohl vor allem sagen, dass er am liebsten den ganzen Tag vor dem Schachbrett säße. Die Lernprozesse ergeben sich nebenbei, sie sind kein Ziel. Weil Stangl seine Arbeit im Unternehmen mag, vergleicht er sie manchmal mit einem Schachspiel - ein größeres Kompliment könnte er ihr wohl nicht machen. "Ich bin sicher, dass Denken in mehreren Handlungsoptionen mir in vielen Verhandlungssituationen geholfen hat, gerade als Personalchef und in den juristischen Auseinandersetzungen, die wir zum Beispiel seit Jahren gegen die Deutsche Telekom führen. Darin habe ich mich richtig festgebissen: Es ist mein persönlicher Ehrgeiz, wie früher im Schach, die Deutsche Telekom zu besiegen. Diese Prozesse machen mir einen Heidenspaß."
Markus Stangl wirkt wie ein glücklicher, ausgeglichener Mensch. Eine Leidenschaft gehört für ihn zu einer gelungenen Biografie. "Dem Schach habe ich sehr viel in meinem Leben zu verdanken", sagt er über das Spiel. Zum Beispiel hat er dabei seine Frau kennengelernt.